Reifen
Die Reifung von Lebensmitteln hatte historisch einen ganz fundamentalen Grund: Wer im Sommer nicht konservierte, fermentierte, räucherte, trocknete und pökelte, der hatte im Winter schlichtweg nichts zu essen. Was früher also aus reiner Not getan wurde, erfüllt heute zumeist den Zweck der Veredelung, indem durch Reifung neue Geschmacksbilder erzeugt werden. Mit einem fundierten Wissen zu Reife- und Veredelungsprozessen sind Köche in der Lage, gezielt Einfluss auf spezifische Produkteigenschaften zu nehmen. Die Reifung von Lebensmitteln umfasst also Vorgänge, bei der Mikroorganismen Inhaltsstoffe der Produkte verändern. Diese Vorgänge verfeinern Lebensmittel, machen sie manchmal erst genießbar und haben einen Einfluss auf die Haltbarkeit.
Zusammenfassung
- Enzymatische Prozesse bei der Fleischreifung sind verantwortlich für guten Geschmack
- Reifung und Veredelung von Lebensmitteln führt zu neuen, interessanten Geschmacksbildern
- Dry Aging ist als Reifemethode im gastronomischen Kontext zur Verbesserung der Fleischqualität beherrschbar und selbst durchführbar
Wenn über Reifung gesprochen wird, so bezieht sich dies zumeist auf Fleisch. Trocken gereifte Produkte (Dry Aging) erfahren einen regelrechten Trend, den die Gastronomie längst erkannt hat und bereitwillig bedient.
Reifeprozesse finden sich aber auch in anderen Bereichen: Käse reift, Bier und Wein reifen, Wurstwaren reifen, auch Obst reift unter kontrollierten Bedingungen nach der Ernte bis zum geschmacklichen Höhepunkt. Fasst man den Reifebegriff nun noch etwas weiter und spricht stattdessen von Veredelung, so öffnet sich ein großes Spektrum an Möglichkeiten der Einflussnahme durch den Koch oder Produzenten:
Dry Aging, Wet Aging oder Aqua Aging sind Methoden, Fleisch zu behandeln, ebenso wie die Reifung mit Schimmel, Talg oder Asche. Klassische Konservierungsmethoden wie das Pökeln, Salzen, Trocknen oder Räuchern veredeln Produkte ebenso wie Fermentationsprozesse Gemüse, Obst oder Fisch. Bei letzterem ist eine bestimmte japanische Schlachtmethode, “Ike Jime”, Bedingung für Reifefähigkeit. Dem Räuchern als aromatisierendem Konservat und der Fermentation sind im Rahmen des „Raum Null“ eigene Themenkomplexe gewidmet.
Auch während des Zubereitens hat der Koch noch die Möglichkeit, veredelnd auf die Produkte einzuwirken: durch bestimmte Garmethoden wie dem Confieren in eigenem Fett oder das gezielte Marinieren können Produkteigenschaften verändert werden.
Gerade bei Fleisch ist die Reifung unerlässlich für den späteren Genuss. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass die Bildung einer guten Fleischqualität weit vor dem Reifen beginnt: gute Lebensbedingungen, gutes Futter, gutes und natürliches Wachstum, ein stressfreier Tod sowie ein handwerklich korrekter Schlachtprozess sind genauso bedeutsam wie die richtige Reifung.
Nach dem Schlachten tritt nach einigen Minuten bis Stunden die Totenstarre ein. In dieser Phase krampfen die Muskeln der Tiere und wären, würde man das Fleisch zubereiten, sehr zäh. Die Tiere hängen kopfüber an einem Haken, die Schwerkraft bedingt, dass die Muskeln auseinandergezogen und gestreckt werden. Die Totenstarre kann so die Muskulatur weniger stark zusammenziehen.
Allmählich beginnen schließlich die enzymatischen Prozesse, die Geschmack entstehen lassen. Die richtige Reifedauer sowie die richtigen Reifebedingungen helfen dabei, den Verlauf des Prozesses so optimal wie möglich zu gestalten.
Hier liegt ein großes Potenzial für die Gastronomie: indem Reifeprozesse gesteuert werden können, ergibt sich die Möglichkeit, Einfluss auf das letztendliche Produkt zu nehmen. Dry Aging ist in den letzten Jahren durch technische Errungenschaften für gastronomische Betriebe beherrschbar geworden, so dass die Fleischreifung Teil der eigenen gastronomischen Wertschöpfungskette sein könnte.
Was die richtige Reifung dabei so attraktiv macht: Enzyme zerlegen relativ komplexe aber geschmacksneutrale Molekülketten in kleinere und einfache, die nun viel Geschmack besitzen. Proteine werden dabei beispielsweise zu Aminosäuren, Glykogen zu Glucose. Es entstehen süße, aromatische und herzhafte Aromen, die Fleisch zu einem Genuss werden lassen.
Rindfleisch benötigt etwa vier Wochen zur perfekten Reifung, eine Zeitspanne, die industrielle Schlachtbetriebe schlicht nicht aufbringen wollen. Zu lange würde das Fleisch lagern müssen, zu groß wäre der Gewichtsverlust. Deswegen finden sich im Supermarkt oft ausschließlich Produkte mit sehr kurzer Reifezeit, die im Umkehrschluss aber längst nicht die Aromatik und Zartheit besitzen, die trocken gereifte Produkte ausmacht.
Quellen
- Antoniewicz, Heiko / Podvinec, Michael / Maurer. 2018. „Veredelung“. Matthaes Verlag GmbH
- McGee, Harold. 2003. „On Food and Cooking. Das Standardwerk der Küchenwissenschaft.“ Matthaes Verlag GmbH